Australien (12)

MELBOURNE-ELISABETH

Es fällt mir sehr schwer, über das Erlebnis im Museum zu schreiben. Ich schäme mich meiner inneren Gefühlsausbrüche und fürchte den Spott über deren Heftigkeit. Ich berichte dann- analytisch beleuchtet- nach irgendwelchen übergeordneten Aspekten, die mir Abstand vor mir selbst bringen und schreibe, dass „wir hingerissen waren „, ein Wort aus der Mottenkiste der gepflegten abendlichen Konversation. „Ich habe geweint, ich habe kämpfen müssen, ein hörbares Schluchzen zu unterdrücken, ich war dem Erlebnis völlig hingegeben, ich war fassungslos glücklich„
Ein schönes junges Mädchen spielt die Kinderszenen von Schumann vor einem Kreis begeisterungshungriger Menschen- den Eltern, vor Fremden, Klassikfans, Museumsbesuchern, die zufällig in diese Sternstunde hineingezogen werden. Es soll für die Konservatoriums Schülerin nur eine Übung sein, sich vor einem Publikum zu präsentieren. Aber sie präsentiert nicht nur sich in ihrer jugendlichen Schüchternheit, aus der eine innere Bescheidenheit strahlt, sie spielt mit aufmerksamer Freude ihre Musik, die sie in vielen Stunden eingeübt hat , mit großer Erwartung an die Zuhörer. Sie öffnet sich in der Musik, der Musik Schumanns- ein Märchen wird Wirklichkeit.

Elisabeth, das kleine Mädchen aus Mühlhausen im ehemaligen Ostpreußen findet seine Liebe zur Klassischen Musik in der Klavierstunde, in die sie der Vater schickt. Für mich wird diese Klaviermusik der Mutter, mit der sie täglich lebt, auf dem Lande in Niedersachsen zu einem Zuhause .Hier in Melbourne spielt ein junges Mädchen Schumanns Kinderszenen. „ Wir sind hingerissen“ Die Eltern , vielleicht aus Thailand, schauen stolz zu.. Schumanns Musik ein Zuhause für Menschen aus aller Welt!

Der junge Komponist, vielleicht in Indien geboren, begleitet seinen musikalischen Freund , der Viola spielt und für den er die Sonate komponiert hat, am Klavier. Vor schwierigen Passagen hat er den Freund bewahrt, umso bravouröser und imposanter spielt er seine Musik am Klavier. Musik ist wahrscheinlich noch nie inbrünstiger gespielt worden und mit einer erstaunlichen technischen Brillanz,
- wie von dem Mädchen aus Melbourne, wahrscheinlich hier geboren.

Wir werden am nächsten Mittwoch nicht mehr dabei sein können- es wird uns sehr fehlen, aber bleiben wird die Erinnerung an ein wunderschönes Erlebnis mit der Jugend und ihrer Musik, die auch die unsere ist.
Ein langer Spaziergang an der Promenade der South Bank hat unser emotionales Gleichgewicht wieder hergestellt.

Ich sehe meine Mutter im Dachstübchen am Kiefernring, gegenüber ihrem Bett am gemieteten Klavier- nur ein Tisch mit zwei Stühlen hatte dazwischen Platz und man musste sich eng daran vorbeischleichen , um sich nicht am Ofen zu verbrennen. Sie singt beim Spielen mit, ganz hingegeben- zu Beethoven singt sie mit dem Text „Mohrungen, Mohrungen „, weil sie damals so glücklich gewesen ist .Das ist ein Bild, das meine frühe Schulzeit am Johanneum geprägt hat, das den abgestorbenen fremden Unterricht der Kriegshinterbliebenen überstrahlt hat. Meine Mutter am Klavier in der Musik diese jungen Mädchens, in der Musik Schumanns.. Das ist das immer wiederkehrende große Märchen in der Kunst. Man kann nur beten, dass diese Musik Menschen einander inniger werden lässt und den tiefen Abstand persönlicher Zurücknahme überwinden hilft. Es ist dann immer noch ein weiter Weg zur Befreiung der Emotionen, zu
Freude , schöner Götterfunke, Tochter aus Elysium .. eines Schillers und Beethovens.